Donnerstag, 30. November 2017

Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul. Vom Ton zur Kompostition

Im Laufe der Jahre wird mir immer deutlicher, wie sehr wir Reiterinnen und Reiter uns bewußt sein sollte, was der u.a. der Zügel wirklich bedeutet. Er ist das Band zwischen unseren Händen und dem Pferdemaul.
Damit übernehmen wir eine große Verantwortung, denn es sollte das Ziel sein, diese Verbindung fein und gefühlvoll zu pflegen.

In meiner Karriere als lizenzierter Parelli Instruktorin erlebe ich immer wieder, dass sehr oft das Vorurteil herrscht, dass Parelli Natural Horsemanship zwangsläufig gebissloses Reiten bedeutet, wenn es überhaupt mit Reiten in Verbindung gebracht wird.
Viele der Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer möchten ihre Pferde nicht mit einem Gebiss reiten. Sie verbinden damit etwas Negatives oder haben Pferde, die durch den unsachgemäßen Einsatz von Gebissen etwas Negatives erlernt haben.

Auch wenn es abgedroschen klingt, so fällt mir dazu immer wieder folgende Aussage ein: "Nicht das Gebiss ist schlecht, sondern die Hand des Reiters".
Es ist richtig, dass wir durch das Reiten mit Kontakt, bzw. die Kommunikation via Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul eine hohe Verantwortung übernehmen. Dafür müssen Reiterin, bzw. Reiter und auch das Pferd bereit sein. Es ist also durchaus nicht verkehrt, damit zu warten, bis der Ausbildungsstand erreicht ist.
Damit erklärt sich von selbst, dass es weder für Reitanfänger noch zum Einreiten eine gute Wahl ist. Mein persönliches Ziel mit meinen eigenen Pferden und mit Schülerinnen und Schülern ist immer die Sensibilität des Pferdemauls zu erhalten, und damit die Kommunkation zu verfeinern. Ein Gebiss im Pferdemaul sollte als Hilfsmittel zur Erreichung von mehr Präzision und zur Verfeinerung genutzt werden und nicht als Kontrollwerkzeug werden.
Eine große Problematik ist meiner Einschätzung nach, dass Reiterinnen und Reiter zu früh und ohne Achtsamkeit mit den Hilfsmitteln Zügeln und Gebiss konfrontiert werden.
Dabei wird oft nicht das notwendige Bewußtsein vermittelt und auch nicht, dass es nebst der Hand und dem Zügel andere Möglickeiten gibt, mit dem dem Pferd zu kommunizieren, die der des Gebrauchs von Hand und Zügel unbedingt vorausgehen.
Das Resultat ist dann ein handlastiges Reiten, bzw. ein Reiten ohne Körperkontrolle.
Wünschen wir uns aber nicht einen zügelunabhängigen Sitz beim Reiten? Das können wir aber nur erreichen, wenn wir lernen, unseren Körper mit allen Facetten beim Reiten einzusetzen, der letztendlich sehr viel mehr Variationen bietet als die bloße Hand und der Zügel!

Zum Körper zähle ich jedes Körperteil und selbst wenn wir jetzt mal die direkte Verbindung zum Zügel und Pferdemaul -die Hand und die Arme- raus lassen, so bleiben der Kopf, die Kopfhaltung, die Blickrichtung, die Schultern, die Bauchmuskulatur, die Körpermitte, die Hüfte, die Oberschenkel, die Waden und deren Kontakt zum Pferdekörper, die Fersen und deren Winkel und damit die Kontaktvariation zum Pferdekörper, die Position der Beine, Der Winkel der Hüfte und nicht zuletzt die eigene Körperenergie.
Ich vermag mir gar nicht auszurechnen, wieviele verschiedene Kombinationsmöglichkeiten daraus resultieren. Verglichen mit ebenfalls vielen aber nicht annähernd so vielen Möglichkeiten die ich mit meinen Händen und Armen kreieren kann.

Was für eine Verantwortung, die wir uns auferlegen! Diese ist sehr spannend und es ist wichtig, dass wir kontinuierlich an uns selbst arbeiten, um diese unzähligen Kombinationen besser beherrschen zu können. Es bedeutet auch, dass das Ziel der Weg ist, denn es ist ein lebenslanges Selbststudium und Selbstreflektion.
Ich selbst bezeichne das Reiten mit Kontakt oder Anlehnung lieber als Reiten mit Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul. Es ist viel mehr involviert als nur der Kontakt oder die Anlehnung.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Wirkung der Hand alleine durch den Weg von der Hand zum Gebiss potenzieren. Die Länge der Zügel ist somit eine Art Verstärker meiner Hand, die am Gebiss und letztendlich beim Pferdemaul ankommen.

Ich mache z.B. mit meinen Schülerinnen und Schülern gerne Handarbeit am Boden und beginne damit beim direkten Kontakt an den Gebissringen, die helfen sollen, die Reaktion des Pferdes zu fühlen.
Reiten mit Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul bedeutet vor allem, das Fühlen zu verbessern oder zu verfeinern, denn es hat wie so oft mit Pferden nur sehr wenig mit Technik zu tun. Leider wird allerdings das Reiten mit Gebiss und Zügeln heutzutage oft genau darauf reduziert. Um es einmal sehr vereinfacht darzustellen: links ziehen zum Abbiegen links. Rechts ziehen um rechts abzubiegen und an beiden Zügeln ziehen, um anzuhalten, zurückzuhalten oder das Pferd rückwärts zu schicken.
In dem Fall werden Zügel rein auf ein Werkzeug reduziert. Das Pferd erlernt durch den Umgang mit dem Fokus Technik und Mechanik lediglich, dass der Kontakt vor allem Türen für das Pferd schließt und damit etwas Negatives. 
Auch wenn es sicher individuelle Präverenzen je Pferd an ein Gebiss gibt, so frage ich mich spätestens bei jeder Pferdemesse, wieso es so viele Arten von Gebissen gibt.
In unserer modernen Welt ist das Fühlen zweitrangig geworden und wenn es zum Partner Pferd kommt, wird der Punkt FÜHLEN viel zu wenig geschult und die Wertigkeit nicht ausreichend vermittelt.
Das (Neu-)Erlernen des Fühlens hat natürlich nicht nur Auswirkungen, wie ich das Hilfsmittel Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul nutze, sondern wirkt sich generell auf unsere Wahrnehmung unserer Hilfen und unserer Kommunikation mit dem Pferd aus.
Mein Leitsatz: "Natürliche Hilfen vor künstlichen Hilfen". Und auch hier gibt es wieder unzählige und vielfältigere Möglichkeiten und Kombinationen von Körperenergie, Körpersprache und den Körper selbst einzusetzen verglichen mit Zügel, Gebiss, Gerte und Sporen.
Den Einsatz der künstlichen Hilfen müssen wir uns verdienen indem wir an einer verbesserten Kontrolle und Einsatz unseren natürlichen Hilfen arbeiten und dazu gehört wieder das Fühlen. Denn künstliche Hilfsmittel sind Verfeinungshilfsmittel und sollten den natürlichen Hilfsmitteln vorausgehen. 
Nicht auszudenken, welchen Wortschatz wir erlangen, wenn wir die Kombinationsmöglichkeiten von natürlichen und künstlichen Hilfsmitteln reflektieren, erlernen und einsetzen können. Aus einem Ton wird eine Tonleiter. Aus einer Tonleiter eine Melodie und aus einer Melodie eine Komposition.

Seatbuilder
Alle dieser erwähnten Konzepte können wir bereits verbessern, ohne zu reiten. Wie schon erwähnt nutzte ich dafür z.B. die Handarbeit, Bodenarbeit, Horsemanship aber auch unseren Seatbuilder um an den natürlichen Körperhilfen und dem Sitz zu arbeiten. Beim Reiten selber fließen ebenfalls Hilfsmittel ein, um die Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul Kommunikation zu verbessern und auch hier gibt es sehr situationsnahe und hilfreiche Möglichkeiten durch Simulationen besser zu werden. 

In diesem Post finden sich verschiedene visuelle Beispiele von schönen Verbindungen. Ich empfehle nicht nur das Gefühl zu schulen, sondern auch das Auge. Virtuelle Aufnahmen und das Fokussieren auf den Moment von Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul sind dabei sehr hilfreich.

Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul -  Ein anregendes und intimes Gespräch zwischen Pferd und ReiterIn und nicht das Schwingen von lauten Reden und Monologen. 

Ich hoffe, dass dieser Post motiviert, die Reise von Hand-Zügel-Gebiss-Pferdemaul zu beginnen, bzw. zu verbessern. Denn diese Reise ist unglaublich spannend und birgt viele Überraschungen und Selbsterkenntnisse. Unsere Pferde werden es uns danken.

Mehr Infos, Termine oder Terminabsprache:

Klaudia Duif
Parelli Natural Horsemanship - Natural Lightness
Kurse, Beritt und Privatunterricht
Horsemanshipcenter - Pferdezentrum
 


Donnerstag, 23. November 2017

Weniger ist mehr. Teil 1 - On Line am Boden.

Ein Konzept, welches mich schon lange beschäftigt. Mit wenig viel erreichen. Das hat nicht nur zur Folge, dass wir die Kommunikation mit unseren Pferden verfeinern, sondern es wird uns gelingen, eine verstärkte Aufmerksamkeit unserer Pferde zu erhalten, denn wer hört nicht gerne und gut zu, wenn die Kommunikation auf ein Minimum reduziert wird.
Das bedeutet wie so oft, dass wir vor allem an uns arbeiten, denn meist sind wir mit unseren Pferden viel zu "laut". Damit meine ich nicht die Lautstärke, sondern die Effizienz unserer Kommunikation. Anstatt mit wenig viel erreichen ist es oft mit viel wenig erreichen.
Die Ursachen dafür sind vielfältig:

  • Wir sind unklar (kein Bild über das Ziel, den Weg oder den Plan haben).
  • Fehlendes Bewußtsein über unsere Körperenergie (zu wenig oder zu viel) und damit unangemessen kommunizieren. 
  • Ist das Equipment passend zu meinem Ausbildungsstand, dem des Pferdes und meinem Ziel?
Foto: Jessica Freymark - Estrela. Horsemanshipcenter
Unsere Pferde werden durch die unangemessene Kommunikation entweder ängstlich oder desensibilisiert. Nach meiner Erfahrung passiert vor allem Letzteres.

Den Weg zu gehen, dass eigene Körperbewusstsein zu schulen ist sehr spannend. Wieviel Energie  braucht mein Pferd in diesem Moment für eine bestimmte Aufgabe. Hilfreich dabei ist z.B. die Aufgabenstellung klar zu definieren und den Fokus nicht auf das Erreichen der Aufgabe zu richten, sondern darauf wie wenig es brauchte, um eine positive Reaktion vom Pferd auf dem Weg der Aufgabe zu erhalten. Teilschritte sind erlaubt, denn der Weg ist das Ziel. 

Immer wieder die eigene Körpersprache zu kontrollieren. Dazu gehört nicht nur das Equipment, sondern auch was meine Beine, Füsse, Arme und Hände in dem Moment machen.

Kurz aus sich raustreten und vorher ein echtes visuelles Bild zu definieren, wie das Ziel und wie auch das Energiebild aussehen sollte, sich einmal von außen betrachten. Bildlich gesprochen eine Momentaufnahme vom eigenen Ergebnis zu machen, sich selbst kurz von außen "fotografieren". 
Nur so habe ich eine genaue Kontrolle darüber und kann mir überlegen, wie der Weg dahin aussehen könnte.

Atemübungen sind ebenfalls sehr hilfreich, um ein Energiebild zu definieren. 

Wir dürfen einfach nie vergessen, wie sensibel diese wunderbaren Lebewesen mit Energie und ihrem Umfeld umgehen. 

Damit dieses Konzept noch deutlicher wird, hier eine Beispielaufgabe.
Ziel wäre es, das Pferd am Boden aus dem Halten in den Schritt zu fragen. Dabei sollte es so aussehen, dass das Pferd sich scheinbar durch Gedankenaustausch mit dem Menschen in Bewegung setzt. 

Das Ziel ist damit definiert und der Anspruch recht hoch. Vor allem an uns, denn idealerweise setzten wir unser Equipment nicht ein und bewegen unsere Füsse erst, wenn unser Pferd losläuft. 
Als Ausgangsposition würde ich eine entspannte Grundhaltung einnehmen. Um das Pferd nun zum losgehen zu bewegen ist es zunächst wichtig, dass ich mich konzentriere und damit auch meine Energie. Mein Körper sollte nun von einer entspannten Grundhaltung zu einer angespannten Körperhaltung wechseln. Gleichzeitig fokusiere ich meinen Blick in die Richtung in die mein Pferd loslaufen sollte. Tiefes Einatmen hilft dabei genauso, wie sich vorzustellen, die aufgebaute Energie nun in der Körpermitte zu sammeln um die von dort aus in die Gliedmaßen zu senden. Den größeren Teil in den richtungsweisenden Arm und Finger und den kleineren Teil danach in die Hand, die den Stick führt um diesen effizient als Phase 4 einzusetzen. Falls mein Pferd nun bereits Anzeichen zeigt, sich ebenfalls bereit zum Losgehen zu machen, würde ich eine Pause machen. Das bedeutet, sehr bewußt wieder in eine entspannte Grundhaltung zurückzukehren um gemeinsam zu entspannen (ausatmen), bevor ich die Übung wiederhole. Damit beginnen Pferd und Mensch sich zu synchronisieren und harmonisch abzustimmen. In dieser Übung kann ich das soweit steigern, bis mein Pferd beginnt, loszulaufen. 
Nach oben sind keine Grenzen gesetzt und so kann ich das steigern, bis aus dem Halten z.B. ein Angaloppieren wird. 
In Parelli Worten gesprochen wäre das ein Yoyo Game auf einem hohen Niveau mit dem Ziel der Verfeinerung

In diesem kleinen Beispiel wird denke ich bewußt, wieviel Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung hier notwendig ist -egal ob ich mich an- oder entspanne und alles, was dazwischen liegt-. Man kann sich vorstellen, dass dabei auch Details wie Blickrichtung (Fokus), Seilgewicht, Seillänge, Handhaltung, usw. eine große Rolle spielen. Aus Details werden essentielle Zutaten. Deshalb empfehle ich, eine simple Aufgabe zu wählen, um sich auf das visuelle Bild und das Energiebild zu konzentrieren. 
Das Ziel ist letztendlich nicht die Aufgabe selbst, sondern die Harmonie zwischen Pferd und Mensch; in dem Fall am Boden. Keine Angst davor haben, Fehler zu machen, denn das Bewußtsein über Fehler ist wichtig, um etwas zu ändern und zu verbessern. Ohne Fehler findet kein Lernen statt. 

Auch wenn diese Art der Aufgabenstellung ab Parelli Level 3 oder höher Sinn macht, so ist es doch hilfreich auch für Anfänger, dieses Bewußtsein zu verstehen, um es später umzusetzen. 
Es macht unheimlich Spaß, dieses Körperbewußtsein zu nutzen, um mit wenig viel zu erreichen. Es macht scheinbar simple Aufgaben spannend und herausfordernd und wir erreichen ein neues Maß an Harmonie mit unseren Pferden.

Ich wünsche Euch viel Spass bei diesem Konzept und bei der Umsetzung mit Euren Pferden, damit aus wenig viel wird.
Im nächsten Teil gibt es weitere Informationen zu dem Konzept, dann im Sattel.